INGE MICZKA
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„...and the world will live as one.“ – die Vision aus John Lennons Friedenshymne‚Imagine‘ scheint aktuell weiter entfernt als noch vor wenigen Wochen. Das Kriegsgeschehen direkt vor Europas Toren macht auf grausame Weise deutlich, wie unterschiedlich Haltungen, Ansichten und Ideale – wie uneinig sich Menschen doch sein können. Dieses Themenfeld greift Inge Miczka in ihrer aktuellsten Werkreihe ‚Empty‘ auf: Aus leeren Patronenhülsen hat die Künstlerin Motive für Relief-Arbeiten und Fotografien gefertigt. Für die zwei Relief-Arbeiten wurden Hülsen stehend auf Alu-Dibond-Platten aufgebracht. Im einen Motiv ist eine Fläche inmitten der Hülsen ausgespart, im anderen wurde genau diese ausgesparte Fläche aus Hülsen dargestellt und die Umgebung leer belassen. Die Fotografien zeigen leere Patronenhülsen in verschiedenen Arrangements – mal aufgereiht stehend, mal durcheinander liegend, in kleinenGruppen angeordnet oder in größeren Verbünden zusammenstehend. Doch leer sind nicht nur die Patronenhülsen auf der sichtbaren Bildebene. Inge Miczkas Arbeiten öffnen auch den Zugang zu den immateriellen, den emotionalen Ebenen – jenen Bereichen, in welchen sich aufgrund kriegerischer Zerstörung die Leere besonders weit ausbreitet. So erinnern die aufgereiht stehenden Hülsen in einer der Fotografien an die Silhouette einer Stadt. Die eng beieinander stehenden Patronenhülsen auf einer anderen Fotografie muten beinahe an wie eine Gruppe Personen. Krieg verbreitet bei beiden gleichermaßen Leere: Er zerstört Städte und lässt sieverwaisen, er generiert innere Leere bei den Überlebenden, schafft Ohnmacht und Orientierungslosigkeit.Letzteres schwingt etwa in den beiden Relief-Arbeiten mit ausgesparter sowie isoliert stehender Innenfläche mit: Krieg reißt Löcher, nimmt Menschen lebenswichtige Kontexte, entwurzelt sie und lässt sie allein – nicht zuletzt durch Auswirkung von Flucht aus der Heimat als letzte Überlebenschance. So wie familiäre Identität immer auch durch Familienfotos weitergegeben wird, so schreibt sich auch Krieg in viele Familiengeschichten ein, tötet einzelne Mitglieder, löscht ganze Familien aus. Sind die Fotografien von gruppiert stehenden Patronenhülsen nüchterne Platzhalter schrecklicher Familienschicksale? Oder von Gruppen von Kameraden? Sind die aufgereihten Hülsen eine Heimatstadt, die nicht mehr existiert? Inge Miczkas ‚Empty‘-Reihe weckt unterschiedliche Assoziationen sowohl allgemein-formale als auch sehr individuelle, und öffnet dabei einen Zugang zu identitären Leerstellen, die Krieg hinterlässt. Wie die meisten von Inge Miczkas Werken ist auch die Reihe ‚Empty‘ von Gegensätzlichkeiten geprägt: Die Patronenhülsen schimmern einerseits edel golden, andererseits bringen sie Tod und Verderben. Ähnlich der Hintergrund der Reliefs – er glänzt ästhetisch in poliertem Schwarz, welches in unseren Breiten gleichzeitig die Farbe der Trauer ist, Dunkelheit assoziiert und Schattenseiten prägt. Gibt es doch im Krieg immer jene, die profitieren, und jene, die dadurch leiden. Aufgrund des Kriegsgeschehens in der Ukraine sind Inge Miczkas gerade erst entstandene Arbeiten brandaktuell. Doch weltweit gibt es zeitgleich kleinere und weniger beachtete kriegerische bzw. kämpferische Konflikte, die leicht aus dem Blickfeld geraten. Diese rückt die Künstlerin mit ihren neusten Arbeiten automatisch zurück in den Fokus der Wahrnehmung. Denn Kriege sind – leider – menschlich und zu jeder Zeit möglich. Dieser traurige Umstand verleiht Inge Miczkas Arbeiten generelle Gültigkeit. So bleibt die ‚Empty‘-Reihe – erneut: ‚leider‘ – stets aktuell und ist damit ein zeitloses Werk, das sein Reflexionspotenzial immer neu entfaltet. Daneben transportieren die Arbeiten auch formal vorsichtig-hoffnungsvolle Ansätze: Leere Patronenhülsen bedeuten schließlich, dass von ihnen keine Gefahr mehr ausgeht. Könnten die einst todbringenden Geschosse somit als Friedenssymbole gelesen werden? Inge Miczkas Arbeiten führen auf verschiedenen Ebenen die Schrecken von Krieg vor Augen und machen dadurch bewusst, dass Menschen immer auch aus den Folgen von Kriegen lernen können. „Imagine all the people, livin‘ life in peace.“ – neue Vorstellungen, neue Visionen sind ein erster Schritt für Veränderungen. Inge Miczkas Arbeiten stoßen genau diesen Prozess des Umdenkens an. Text: Daniel Scheffel 2022 C INGE MICZKA